Liebe Kollegin, lieber Kollege,
am 7. Januar war der erste Brief in 2015 an unsere Mitglieder bereits fertig zum Versand. Ich wollte darin einen erwartungsvollen und optimistischen Blick nach vorne werfen und Lust machen, mitzugestalten: Am Anfang jeden Jahres bieten sich immer so unendlich viele Möglichkeiten des Neuanfangs. Doch dann überschlugen sich die Eilmeldungen vom Attentat auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo, das zwölf Todesopfer forderte. Zwei Tage später nahm die Geiselnahme in einem Supermarkt für koschere Waren in Paris ein blutiges Ende und weitere zwei Tage später wurde ein Brandanschlag auf die Hamburger Morgenpost verübt - zum Glück gab es dort weder Tote noch Verletzte. Nach diesen Ereignissen gingt Ihr, die Journalistinnen und Journalisten, Eurer Arbeit nach, viele von von Euch sicher mit einem beklommenen Gefühl, unsicher und, ja, wohl auch mit Angst. Ihr werdet Euch sicher noch lange an das Gefühl beim Betreten eures Senders oder Verlagsgebäudes nach dem 7. Januar erinnern.
Die Medien liefern seitdem Erklärungen, setzen das Puzzle zusammen, das uns am Ende ein Gesamtbild vermittelt darüber, wie es zu den Toten in Frankreich kommen konnte, wie es weiter geht mit Reaktionen der Politik, welcher Zerreißprobe die Gesellschaft jetzt ausgesetzt ist - einer Zerreißprobe, in deren Mittelpunkt die Medien doch selber stehen: Die Presse, der Rundfunk. Ihr, unsere Kolleginnen und Kollegen, erklärt unermüdlich, schreibt an gegen Falschinformationen, Hetze und Verleumdungen, bezieht Standpunkte, vertretet Eure Meinung.
Dafür bin ich dankbar und voller Respekt.
Unsere Anteilnahme, unsere Solidarität und unser Beileid gelten den Opfern der Anschläge und ihren Angehörigen. Unsere Reaktionen findet Ihr unter http://dju.verdi.de/ueber-uns/fuer-die-pressefreiheit. Auf dieser Seite findet Ihr auch den Unterstützungsaufruf zum Spendenkonto für die Hinterbliebenen der Anschlagsopfer unter dem Stichwort Solidarité avec Charlie Hebdo, das von der Europäischen Journalisten Föderation, in der wir Mitglied sind, europaweit unterstützt wird.
Worauf es für unsere Organisation jetzt aber vor allem ankommt, ist, die Herausforderung anzunehmen, die sich nach den Morden an den Kolleginnen und Kollegen in Frankreich für uns stellt. Und das ist nicht weniger als die Auseinandersetzung um die Pressefreiheit - hierzulande, in Europa, weltweit. Noch am 7. Januar wurde mir als erstes die Frage gestellt, ob die Anschläge neue Grenzen dessen definierten, was Presse und Rundfunk dürfen. Meine Antwort lautete: „Nein!“.
Was Presse und Rundfunk dürfen, welche Karikaturen, Bilder und Texte gedruckt oder gesendet werden, werden weder von Waffengewalt oder Drohungen noch Verleumdungen wie dem Unwort „Lügenpresse“ definiert beziehungsweise diktiert. Und anders herum: Es gibt keine Verpflichtung, eine bestimmte Position einzunehmen zur Veröffentlichung von bestimmten Karikaturen, Bildern oder Texten.
Denn das ist Pressefreiheit: die Freiheit der Redaktionen, selber darüber zu entscheiden, was sie veröffentlichen. Wir sind so frei oder auch „Je suis Charlie!“, womit an die Karikaturisten- und Journalisten-Kollegen unter den Ermordeten erinnert und Mut gemacht wird, sich nicht einschüchtern zu lassen. Es ist unsere Aufgabe als Interessenvertretung der Journalistinnen und Journalisten, als Mitglied im Trägerverein des Deutschen Presserats, als politische Organisation, genau diese Entscheidungsfreiheit zu schützen und zu verteidigen gegen Versuche äußerer Einflussnahme.
Das heißt auch: Wir akzeptieren auch und gerade unter dem Eindruck von „Charlie Hebdo“ keine neuen Grenzen bei der Recherche. Die Weigerung des Bundes, der Presse adäquate Auskunftsrechte zuzugestehen, schwächt freie Rundfunk- und Presseorgane. Whistleblowing und Leaking von Behörden-Servern ist eine „Notwehr“, Voraussetzung für eine effektive Kontrolle des Staates durch ungehinderte Berichterstattung und journalistische Einordnung auf Grundlage von Original-Dokumenten. In die entgegengesetzte Richtung versuchen nun Vertreter politischer Parteien die Grenzen zu verschieben. Ganz schnell kam es kurz nach den Morden von Paris zur Debatte um die wieder aus der Schublade geholte Vorratsdatenspeicherung.
Dabei stehen wir schon seit längerem in einer Auseinandersetzung um die Akzeptanz von Presse und Rundfunk. Wie schlecht es um diese Akzeptanz zum Teil bestellt ist, zeigen uns die Fahndungsaufrufe, mit denen in den sozialen Medien zur Hetze gegen jene Fotografen aufgerufen wird, die Demonstrationen gegen Asylbewerberunterkünfte in Berlin und anderswo dokumentieren. Von Einsatzkräften vor Ort hören die betroffenen Kollegen dann, sie sollten sich fern halten, für ihren Schutz könne nicht gesorgt werden. Wir haben für unsere Mitglieder rechtliche Schritte gegen die Verbreiter der Fahndungsaufrufe eingeleitet und sind in Gesprächen mit den zuständigen Innenministern, um deutlich zu machen, dass hier Grenzen überschritten werden und der Staat die Aufgabe hat, Presse und Medien in der Ausübung ihrer Arbeit zu schützen.
Diese Diskussion verschärft sich anlässlich der Ereignisse der vergangenen Wochen. Die Fachgruppe Medien, die dju in ver.di beziehen zum Schutz vor Einschränkungen der Pressefreiheit deutlich Position: Wir schützen sie, wir verteidigen den Rahmen publizistischer Freiheit, innerhalb dessen sich die freie Entscheidung der Redaktionen bewegt, gegen immer häufiger geäußerte Angriffe, sei es aus der Politik, sei es aus der Gesellschaft.
Wir werden allen politischen Intentionen, über die Vorratsdatenspeicherung zum Beispiel den Quellenschutz zu schwächen, entgegentreten. Wir werden die Abwertung journalistischer Arbeit nicht zulassen, wohl aber den gesellschaftlichen Diskurs darüber führen, wie wir unabhängigen Journalismus auch in Abgrenzung von Meinungsmache und undifferenzierter Information in den sozialen Medien stärken. Dabei sehen wir alle gesellschaftlichen Gruppen in der Verantwortung. Denn sinkende Auflagen und Reichweiten bei den etablierten Medien sollten im Wissen um insgesamt gestiegene Mediennutzung Anlass dafür sein, die Rahmenbedingungen für freien Journalismus zu verbessern.
Innere Pressefreiheit ist in der jetzt zu führenden Auseinandersetzung von großer Relevanz. Denn sie bedeutet die Freiheit, im Zweifel auch gegen die wirtschaftlichen Interessen von Verlagen, die sich zum Teil schon länger aus ihrer publizistischen Verantwortung verabschiedet haben, bestimmte Inhalte zu veröffentlichen. Immer mehr Ein-Zeitungs-Kreise, Übernahmen von überregionalen Zeitungsmänteln und Rückzug aus dem Lokalen sind ein Verlust von publizistischer Vielfalt, die unverzichtbar ist für Pressefreiheit.
Immer wieder berichten mir Kolleginnen und Kollegen, dass wir deshalb vieles nicht mehr erfahren. Auch dieser Form von Selbstzensur gilt es mutig entgegen zu treten. Zum Beispiel dadurch, dass wir endlich unsere Forderung nach der Abschaffung des unseligen Tendenzschutzes auch auf die Tagesordnung der Parteien setzen und uns auch selbstkritisch die Frage beantworten, wo wir uns angreifbar machen – und vor allem, warum?
Dabei spielt natürlich das Thema der materiellen Absicherung eine wesentliche Rolle, denn Pressefreiheit wird nicht zuletzt auch durch wirtschaftliche Unabhängigkeit gewährleistet. Wenn ich mir jedoch die Entwicklung der Honorare und Gehälter unserer Kolleginnen und Kollegen anschaue, dann ist diese Unabhängigkeit in Gefahr. Es bleibt damit auch eine unserer zentralen Herausforderungen in diesem Jahr, dieser Gefahr zu trotzen, indem wir in den Redaktionen der Rundfunkanstalten, der Tageszeitungen, der Zeitschriften und in den Online-Medien weiter für angemessene Vergütungen kämpfen. Für Freie und für Angestellte.
Wir in ver.di nehmen die Herausforderungen dieses noch so jungen, aber schon so von den Ereignissen belasteten Jahres an und stehen gemeinsam für die Pressefreiheit als Konstitutive unserer Demokratie. Je mehr von Euch dabei sind, desto besser: Denn jedes Mitglied zählt und wird gebraucht in dieser Auseinandersetzung.
Für die ich uns allen Kraft und gutes Gelingen wünsche!
Cornelia Haß
Leiterin Bereich Publizistik und Medien
Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di