Abschaffen oder reformieren?

08.11.2013

dju diskutiert über Verfassungsschutz

Wie geht es weiter mit dem Niedersächsischen Verfassungsschutz? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion der Deutschen JournalistInnen-Union (dju) in ver.di. „Abschaffen“, forderten die Journalistin Andrea Röpke und der Anwalt Dr. Rolf Gössner, „reformieren“ meinte die neue Verfassungsschutz-Chefin Maren Brandenburger.

Röpke und Gössner, beide waren jahrelang rechtswidrig überwacht worden, formulierten deutliche Kritik an Struktur und Praxis des Geheimdienstes.Die dju-Journalistin, die vor allem über die rechtsextreme NSU recherchierte und dafür vielfältig ausgezeichnet wurde), erinnerte an „Versäumnisse, wie ich sie mir nicht hätte vorstellen können.“ Der Verfassungsschutz habe mit eklatanten Fehlern die Verbrechen der Terrorzelle erst möglich gemacht.

Gössner, seit Jahrzehnen im Fokus des Bundesverfassungsschutzes, verwies besonders auf das „Versagen des Prinzips V-Leute.“ Die seien unkontrollierbar und hätten weitgehend erfolglos gearbeitet. So seien bezahlte Spitzel auch in NSU-Kreisen eingesetzt worden und hätten nichts über geplante Morde berichtet. „V-Leute sind Teil des Systems, sie sind staatlich alimentierte Extremisten“, kritisierte Gössner, der Mitglied des Verbandes Deutscher Schriftsteller in ver.di ist.

Brandenburger warb dafür, V-Leute auch weiter einzusetzen, allerdings mit strengen Regeln und zusammengeführt in einer bundesweiten „Spitzel-Datei“. „Ohne diese Möglichkeit hätten zahllose Verbrechen in Niedersachsen nicht verhindert werden können“, beschreibt die Präsidentin. Sie räumte ein, dass eine weitgehende Reform des Verfassungsschutzes in ganz Deutschland anstehe; Niedersachsen habe sich an die Spitze dieser Bewegung gesetzt. In ihrer Behörde werde seit dem Regierungswechsel Anfang des Jahres vieles jetzt neu bewertet, „auch wenn die Gesetze uns klare Aufgaben vorgeben.“

Sie warb für eine sachliche und ergebnisoffene Diskussion über die Zukunft der Geheimdienste – und für eine exakte Definition von Extremismus.

Offen blieb die von Moderator Peter Mlodoch (Vorstand der Landespressekonferenz und Mitarbeiter des Weser-Kuriers in Bremen) mehrfach wiederholte Frage an Röpke und Gössner, „Wer schützt die Bürger vor dem Verfassungsschutz?“ und wie sie denn die Vorfeld-Recherche – von welcher Behörde auch immer ausgeführt – ohne V-Leute sicherstellen wollten.

„So wie jetzt geht es jedenfalls nicht“, formulierte Röpke, die lieber mehr Geld in der Prävention sehen möchte, während Gössner bei seiner Maximalforderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes blieb.

Gebetsmühlenartig warb Brandenburger für den Blick nach vorn, sie wolle sich ungern zu Fehlern früherer Jahre und denen des früheren Innenministers Uwe Schünemann äußern. Der hatte die Einladung zur ver.di-Diskussion übrigens ausgeschlagen – wie die gesamte CDU-Landtagsfraktion.

Klären will Brandenburger, warum im aktuellen Verfassungsschutzbericht, vom
Vorgänger vorbereitet, aber von ihr verantwortet, ein Plakat des überparteilichen „Bunt statt braun“-Bündnisses als Beispiel für Extremismus abgedruckt wurde.

(Hier kann man das Plakat downloaden: http://badnenndorf-blockieren.mobi/archiv/mobimaterial-2012/)

„Natürlich ist der friedliche Einsatz gegen Rechts nicht extremistisch“, betonte Brandenburger, das sei noch unter der Vorgängerregierung beauftragt worden – und „man kann den Geist des früheren Verfassungsschutzes ja nicht über Nacht austreiben.“

Andrea Röpke bemängelte auch, dass die Recherchen über die Anschlagsziele der NSU in Salzgitter und Braunschweig nicht im aktuellen Bericht aufgeführt seien. Dies werde man im nächsten Bericht nachliefern können, sagte Brandenburger. Eine Reaktion auf das taggleich ergangene Urteil im Fall der Datenspeicherung über den Göttinger Journalisten Kai Budler durch den Verfassungsschutz gab die Präsidentin des Niedersächsischen Verfassungsschutzes nicht ab. Natürlich müssten die streitbefangenen Daten bis auf die der V-Leute dann gelöscht werden. Sie wolle aber den genauen Wortlaut des Urteils abwarten.

Matthias Büschking