Offener Brief an deutschen Justizminister: EU-Rat verwässert Richtlinie gegen SLAPPs

12.07.2023

Bündnis gegen SLAPPs bittet, Zusagen während der Trilog-Verhandlungen in konkrete Maßnahmen umzuwandeln

12.07.2023

Das deutsche No-SLAPP-Bündnis, zu dem auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di gehört, hat einen Offenen Brief an den deutschen Bundesjustizminister Marco Buschmann geschrieben. Das Bündnis ist enttäuscht, wie sehr der Rat der Europäischen Union die Richtlinie der EU-Kommission gegen offensichtlich unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren (SLAPPs) verwässert:

Sehr geehrter Herr Minister,

wir sind Vertreter*innen eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses aus Medien-, Menschenrechts- und weiteren Nichtregierungsorganisationen sowie Gewerkschaften gegen Rechtsmissbrauch zur Einschränkung der kritischen Öffentlichkeit (SLAPPs), sowie Teil des europäischen Anti-SLAPP-Bündnisses CASE.

Wir sind enttäuscht über die allgemeine Ausrichtung, die der Rat der Europäischen Union am Freitag, den 9. Juni 2023 zum Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission "über den Schutz von Personen, die sich an der Öffentlichkeit beteiligen, vor offensichtlich unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren (SLAPPs)" angenommen hat.

Mit diesem Standpunkt macht der Rat einen Schritt zurück im Kampf gegen den zunehmenden Einsatz offensichtlich unbegründeter und missbräuchlicher Gerichtsverfahren, indem er den ursprünglichen Text erheblich verwässert. Insbesondere die folgenden großen Nachteile lassen einen wirksamen und angemessenen Rahmen für Journalist*innen, Aktivist*innen und Medienorganisationen vermissen:

(1) Die Streichung der Definition der Europäischen Kommission von "grenzüberschreitend" schließt die meisten SLAPPs aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie aus. Untersuchungen zeigen, dass etwa 90% der SLAPP-Fälle in Europa in dem Land angestrengt werden, in dem die Zielperson ihren Wohnsitz hat. All diese Fälle würden nun nicht mehr unter den Schutz der Richtlinie fallen.

(2) Die sehr restriktive Definition von "offensichtlich unbegründeten Fällen" schwächt den Text insgesamt, insbesondere den wichtigen Mechanismus der vorzeitigen Klageabweisung, und verringert den Schutz der Betroffenen erheblich. Darüber hinaus bietet der Ratsentwurf, anders als der der Kommission, keine Garantie mehr für die Zweckmäßigkeit einer vorzeitigen Einstellung von missbräuchlichen Verfahren. Insofern ist unklar, inwieweit die Richtlinie eine Verbesserung gegenüber der aktuellen Rechtslage zum Schutz gegen Einschüchterungsklagen herstellen soll.

(3) Die Streichung der Bestimmung über Entschädigungsmöglichkeiten für erlittene Schäden ist ein weiterer Versuch, den Schutz von SLAPP-Zielpersonen zu schwächen. Diese Bestimmungen bleiben weit hinter dem ursprünglichen Ziel der Gesetzgebung zurück: dem Schutz von Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Aktivist*innen und letztlich dem Recht auf Information in der Europäischen Union. Die Bestimmungen in ihrer derzeitigen Form würden dazu führen, dass viele Fälle vom Anwendungsbereich der Gesetzgebung ausgeschlossen werden, da es schwieriger wird, sich für den Schutz zu qualifizieren.

Journalist*innen, Medienorganisationen und Aktivist*innen in Europa stehen unter großem Druck, und juristische Schikanen sind eine der größten Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind. Sie rauben ihnen Zeit und Geld, beeinträchtigen ihre Arbeit und verletzen somit letztlich das Recht der Öffentlichkeit auf Information.

Wir bitten Sie daher, während der Trilog-Verhandlungen öffentlich getroffene Zusagen in konkrete Maßnahmen umzuwandeln. Nur ein ehrgeiziger Text, der den Empfehlungen prominenter europäischer Rechtsexpert*innen folgt, wird etwas bewirken können. Andernfalls wird hier eine wichtige Chance verpasst.

Wir fordern Ihr Ministerium auf, sich auf Europäischer Ebene für eine Gesetzgebung einzusetzen, die Journalist*innen, Aktivist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und andere öffentliche Akteur*innen wirksam vor strategischen Einschüchterungsklagen schützt.

Mit freundlichen Grüßen im Namen des Bündnisses,

Blueprint For Free Speech e.V., Philipp Wissing

Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, Matthias von Fintel

Open Knowledge Foundation Deutschland, Arne Semsrott

Rettet den Regenwald e.V., Mathias Rittgerott

Umweltinstitut München e.V,. Veronika Feicht

Wildes Bayern e.V., Dr. Christine Miller