Die Waffe am Kopf

30.10.2015
Ömer Celik

Berichtsverbote, Geldstrafen und direkte Bedrohung gegen Journalisten im türkischen Wahlkampf

Ein Interview mit dem türkisch-kurdischen Journalisten Ömer Celik, der monatelang inhaftiert war, und für den die dju Hessen eine Gerichtspatenschaft übernommen hat. Der Journalist ist zusammen mit Kollegen angeklagt, Mitglied oder Unterstützer der KCK zu sein, die als so genannte "Stadt-Organisation" der illegalen und bewaffneten PKK (Kurdische Arbeiterpartei) angesehen wird. Die erneute Wahl ist am 1. November 2015, nachdem nach dem Wahlausgang im Juni mit einem Verlust der absoluten Mehrheit für die AKP keine neue Regierung als Koalition gebildet wurde.

Wie können Journalisten über den Wahlkampf berichten, welche Hindernisse der freien Berichtserstattung gibt es?

Celik: Bei dieser Frage muss ich Ihnen zunächst einmal sagen, dass unter den gegebenen Bedingungen in der Türkei selbst politische Parteien in ihrem Wahlkampf mit schwerwiegenden Schwierigkeiten konfrontiert sind. Stellen Sie sich vor, in der Türkei werden Parteizentralen angegriffen und Wahllokale in Brand gesetzt. Kandidaten von politischen Parteien können vielerorts nicht mit der Bevölkerung zusammen kommen, weil diese Orte zu sogenannten „Sicherheitszonen“ erklärt oder an diesen Orten „Ausgangssperren“ verhängt wurden.

Wenn selbst Politiker mit diesen Hindernissen zu kämpfen haben, können Sie sich vorstellen, dass es Journalisten auch nicht sonderlich einfach haben. Das schlichteste Beispiel ist vielleicht, dass wir aus Akkreditierungsgründen keine AKP-Wahlkampfveranstaltungen verfolgen können.

Nach den Wahlen vom 7. Juni 2015 wurden gegen viele Nachrichtenagenturen, Fernsehsender und Zeitungen Sende- beziehungsweise Berichterstattungssperren und/oder Geldstrafen verhängt. Allein die Homepage unserer Nachrichtenagentur DIHA ist seit dem 24. Juli dieses Jahres bis heute 24 Mal gesperrt worden. Hinzu kommt, dass Journalisten, die im Wahlkampf berichten, von der Polizei und dem Militär regelmäßig drangsaliert werden. Die Bilder des Journalisten, dem von einem Polizisten vor laufender Kamera eine Waffe an den Kopf gehalten wird, ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, mit welchen Schwierigkeiten der Journalismus hierzulande konfrontiert ist.

Angela Merkel hat den Wunsch nach freien und fairen Wahlen in der Türkei geäußert - ist dem so?

Celik: Dass der Wunsch von Frau Merkel in der Türkei wohl keine Erfüllung finden wird, ist, denke ich, aus meinen Äußerungen zu der ersten Antwort bereits ersichtlich geworden. Ich glaube, dass Frau Merkel sich dessen auch bewusst ist. Ein Land, das freie und faire Wahlen gewährleistet, hätte sicherlich auch die Wahlergebnisse vom 7. Juni respektiert. In der Türkei wird das ohne Zweifel nicht getan. Hier haben wir es mit einer politischen Situation zu tun, in welcher die Regierung, um ihre eigenen politischen Ziele zu verwirklichen, Bomben hochgehen und Politiker festnehmen lässt.

Aus Deutschland sieht es so aus, als nutze Präsident Recep Tayyip Erdogan die Flüchtlinge, um Druck auf Europa zu machen, indem er viele ungehindert ausreisen lässt und so Zugeständnisse der EU zugunsten der Türkei (Visa-Freiheit für türkische Bürger, EU-Beitritt) bewirken will – sehen Sie das auch so?

Celik: Ja, das ist Ausdruck der gescheiterten Politik der AKP im Mittleren Osten. Nachdem die Zusammenarbeit der türkischen Regierung mit dschihadistischen Gruppen wie dem IS in Syrien sich nicht mehr verbergen ließ, sucht die AKP nach neuen Möglichkeiten, um sich aus dem außenpolitischen Abseits zu retten. Ihre neueste Waffe sind die Flüchtlinge.

Wie anders lässt sich erklären, dass die Flüchtlinge aus den staatlichen Camps in koordinierten Aktionen von einem Ende des Landes zum anderen Ende gebracht werden. Staatliche Beamte stecken hinter dieser Organisation. Für die Tragödien der Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrunkenen Menschen, ist die AKP ebenso mitverantwortlich wie die Länder der EU.

Wie ist der Stand des KCK-Verfahrens gegen Sie?

Celik: Rechtlich betrachtet werden die KCK-Verfahren gegen uns weiterhin fortgesetzt. Wir wurden lediglich wegen der veränderten politischen Situation und der Festnahme von zahlreichen Polizeichefs aufgrund des AKP-Gülen Zwists auf freien Fuß gesetzt.

Unsere Klage vor dem Verfassungsgericht, in welcher wir fordern, dass die Verfahren gegen uns eingestellt werden, ist auch nach einem Jahr noch ohne Antwort geblieben. Sollten sich die politischen Bedingungen verschlechtern, ist es wahrscheinlich, dass wir in den KCK-Verfahren zu Haftstrafen verurteilt werden. Aber in der Türkei ist das eine Angelegenheit, die immer mit der gerade aktuellen politischen Atmosphäre im Land zu tun hat.

Die Fragen stellte Joachim Legatis, Übersetzung von Civaka Azad.

30. Oktober 2015

 

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