Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verkündet am kommenden Dienstag, den 19. Mai, sein Urteil zur anlasslosen Überwachung des weltweiten Internetverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst (BND). Anlass ist die Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz von der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sowie vier weiteren Medienorganisationen. Seit der mündlichen Verhandlung im Januar ist das Bündnis zuversichtlich, dass das Gericht der geheimdienstlichen Überwachung Grenzen setzen wird. Das erwartete Grundsatzurteil könnte das Telekommunikationsgeheimnis erheblich stärken, und mit ihm den internationalen Menschenrechtsschutz sowie die Pressefreiheit.
„Die Pressefreiheit steht weltweit immer stärker unter Druck. Die Corona-Krise hat diese Entwicklungen dramatisch beschleunigt und verschärft. In einer solchen Situation wäre es umso fataler, wenn dem Bundesnachrichtendienst erlaubt würde, Journalistinnen und Journalisten im Ausland sowie ihre Quellen ohne konkreten Anlass oder Verdacht zu überwachen“, sagte die Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di, Cornelia Berger. „Wenn die so gewonnenen Informationen in irgendwelchen Datenbanken gespeichert und möglicherweise an ausländische Geheimdienste weitergegeben werden, dann ist das eine schwerwiegende Verletzung des Grundrechts auf Pressefreiheit, die für die bespitzelten Medienschaffenden gravierende Konsequenzen haben könnte.“
Sind deutsche Behörden im Ausland an das Grundgesetz gebunden?
Mit dem Verfahren wollen die beteiligten Organisationen eine Grundsatzfrage klären, die in Deutschland seit über 20 Jahren für Diskussionen sorgt: Sind deutsche Behörden im Ausland an die Grundrechte gebunden? Die Bundesregierung verneint das, wie sie in der mündlichen Verhandlung auf kritische Nachfragen der Richter*innen des Bundesverfassungsgerichts bekräftigte.
Die Kläger*innen – darunter renommierte ausländische Investigativjournalist*innen – argumentieren hingegen, dass Artikel 1 des Grundgesetzes die Regierung an die Grundrechte bindet – unabhängig davon, ob sie im In- oder im Ausland aktiv wird. Auch Menschen im Ausland haben ein Recht auf Privatsphäre. Der BND darf daher nicht, wie es das BND-Gesetz erlaubt, den Kommunikations- und Internetverkehr von Ausländern im Ausland schrankenlos überwachen.
Was ist von dem Urteil zu erwarten?
„Das Gericht deutete in der mündlichen Verhandlung an, dass es diese Auffassung teilen könnte“, sagt Ulf Buermeyer, Vorsitzender der GFF. „Die Frage ist nun, welche konkreten Konsequenzen es daraus für die Überwachungstätigkeit des BND zieht.“ Zur Stärkung des Telekommunikationsgeheimnisses könnte das Gericht dem Gesetzgeber aufgeben, Vertrauensbeziehungen wie jene zwischen Journalist*innen und ihren Quellen besser zu schützen; die gezielte Überwachung von dem BND bereits bekannten Personen an gesteigerte Voraussetzungen zu knüpfen; die Übermittlung von Daten an ausländische Stellen einzuschränken; und die unabhängige Kontrolle der Auslandsüberwachung auszuweiten und zu stärken. Die genannten oder ähnliche Vorgaben könnte es allerdings auch (teilweise) aus dem BND-Gesetz selbst ableiten, ohne dass es dafür geändert werden müsste.
Aushöhlung des Redaktionsgeheimnisses befürchtet
Der mangelhafte Schutz im BND-Gesetz hatte die klagenden ausländischen Journalist*innen zu ihrer Verfassungsbeschwerde bewegt. Sie befürchten, dass sich Informant*innen aus Angst vor permanenter Überwachung nicht mehr mit sensiblen Themen an sie wenden wollen. Ferner könnte der BND auch das deutsche Redaktionsgeheimnis umgehen, wenn er bei internationalen Großrecherchen wie den Panama-Papers die ausländischen Partnermedien deutscher Redaktionen überwacht.
Gegen das BND-Gesetz klagen unter anderem die Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Khadija Ismajilova, und die internationale Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF). Verfahrensbevollmächtigter ist der renommierte Mainzer Verfassungsrechtler Prof. Dr. Matthias Bäcker; RSF wird daneben vertreten von Rechtsanwalt Dr. Bijan Moini (GFF). Die Klage koordiniert die Gesellschaft für Freiheitsrechte gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen, dem Deutschen Journalisten-Verband, der Deutschen Journalistinnen und Journalisten Union dju in ver.di, dem Recherchenetzwerk n-ost sowie dem netzwerk recherche.