Schockiert und fassungslos zeigte sich die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) angesichts des Urteils gegen den im deutschen Exil lebenden Journalisten Can Dündar. Ein Istanbuler Gericht hatte ihn heute (23. Dezember 2020) in Abwesenheit wegen Spionage und Terrorunterstützung zu insgesamt 27 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. "Dieses Urteil hat nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun, sondern ist die politische Entscheidung eines Willkürregimes", sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz. "Der Journalist Can Dündar wurde angeklagt, weil er seine demokratische Aufgabe der Kontrolle von Regierung und Institutionen wahrgenommen hat."
Die von Dündar als Chefredakteur geleitete oppositionelle Zeitung "Cumhuriyet" hatte 2015 geheime Informationen zu angeblichen Waffenlieferungen der türkischen Regierung an Extremisten in Syrien veröffentlicht. Zunächst war er deshalb 2016 wegen Geheimnisverrats verurteilt worden, allerdings hob der Oberste Gerichtshof das Urteil
2018 auf und verlangte, dass ein neues Verfahren gegen Dündar auch den Straftatbestand der Spionage umfassen müsse.
"Mit der Kriminalisierung von kritischem Journalismus will der türkische Staat Pressefreiheit und Menschenrechte systematisch unterdrücken", so Schmitz. Das aktuelle Urteil habe massive Auswirkungen auf die persönliche Sicherheit Can Dündars und belege, dass der in den letzten Wochen eingeschlagene Annäherungskurs des türkischen Präsidenten Erdogan an die Europäische Union offenbar keinen echten Kurswechsel zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedeute. "Wir erwarten, dass die Bundesregierung ihre Konsequenzen daraus zieht. Es darf keine Zugeständnisse an einen Staat geben, der die Grundrechte mit Füßen tritt", forderte Schmitz und erklärte sich solidarisch mit Can Dündar und allen weiteren Journalistinnen und Journalisten, die in der Türkei zu Unrecht unter Anklage stehen oder ins Exil flüchten mussten.