• 28. Journalistentag

    Lokal, regional, international, trivial - Wie breit machen wir den Boulevard?

    28. Journalistentag
    © Petra Dreßler/Fotolia

Lokal, regional, international, trivial - Wie breit machen wir den Boulevard?

"Wie sieht Journalismus künftig aus?", fragte Frank Werneke zu Beginn des 28. Journalistentags. "Und wer finanziert Journalismus künftig?" Das sei auch eine Machtfrage, wie sich gerade auch in der Auseinandersetzung um den Mindestlohn zeige, bei dem die Verleger darauf aus sind, möglichst viele Ausnahmen zu erreichen. Sie behaupten, es ginge ihnen bei den Zeitungszustellern um die Pressefreiheit - dabei gehe es um die Fortsetzung der "Hungerlöhne" für die Zeitungszusteller. "Die Schlacht ist in den letzten Tagen weitergegangen", erklärte Werneke und spielte auf die vorgesehenen Kontrollen des Mindestlohns durch den Zoll an, den die Verleger aufweichen wollen. Zudem sind die Verleger nicht verpflichtet, die tatsächliche Arbeitszeit der Zusteller zu erfassen. Damit werde eine Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohns quasi unmöglich.

Als zweites Thema sprach Werneke das geplante Gesetz zur Tarifeinheit an. ver.di lehne dieses Gesetz ab, da es in das Streikrecht der Gewerkschaften eingreife. "Wir als ver.di sind gegen Tarifkonkurrenz, sondern für Tarifeinheit." Das sei aber eine Aufgabe der Gewerkschaften untereinander und nicht Aufgabe des Gesetzgebers. Konkurrenz darf nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen werden. Deshalb leistet ver.di Widerstand gegen das Gesetzgebungsverfahren und sammelt Unterschriften gegen den Gesetzentwurf.

In einer Diskussionsrunde versuchte Manfred Kloiber zu klären: "Yellow Press, Regenbogen, Boulevard, Presse, Medien, soziale Medien - Worüber reden wir eigentlich?" Gesprächspartner waren Moritz Tschermak von "Topfvollgold.de" und Cornelia Haß, dju-Bundesgeschäftsführerin und Mitglied im Trägerverein des Deutschen Presserats. Tschermak beobachtet mit Kollegen die Boulevardpresse genau und spießt deren unseriöse Berichterstattung auf, auch mit Eingaben an den Presserat. Der Presserat legt an Boulevardmedien genau dieselben Maßstäbe an wie an Tageszeitungen und andere Zeitschriften, Maßstäbe, die so auch für Satiremagazine gelten. Bouelvardmedien spitzen zwar zu, aber auch deren Leser wollen nicht getäuscht werden, zeigte sich Haß überzeugt. Für Tschermak ist die Promi-Klatschpresse nicht mehr dem Journalismus zuzurechnen. Er beobachtet allerdings, dass auch Magazine wie "Der Spiegel" in ihrer optischen Darstellung durchaus zu Stilmitteln der Boulevardmedien greifen und Effekthascherei betreiben. Typisch für die Boulevardmedien ist nach Beobachtung von Kloiber ein eklatanter Unterschied zwischen Überschriften und dem tatsächlichen Inhalt der Artikel. Es gehe gar nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch um Klickraten bei Internetseiten wie "Heftig.co", zeigte sich Haß überzeugt.

Zum Bericht in M

M 8 2014
© Hermann Haubrich

"Boulevardjournalismus ist die Ehe von Geld und Aufmerksamkeit", erklärte Hans-Jürgen Arlt in seinem Vortrag "Ein anderer Journalismus oder etwas anderes als Journalismus?". Arlt stellte mit seinen Thesen einen Zwischenbericht über eine neue Studie vor, die er zusammen mit Wolfgang Storz für die Otto-Brenner-Stiftung erarbeitet. Journalismus ist finanziell abhängig, aber auch sozial abhängig. "Alle wollen kritischen Journalismus, solange sie nicht selbst das Thema sind", erklärte Arlt und meinte, die These des Pressekodex vom gänzlich unabhängigen Journalismus sei weltfremd. Wer von der Unabhängigkeit des Journalismus rede, dürfe von seiner Zahlungsabhängigkeit nicht schweigen.

Kommunikation sei eine Dreifaltigkeit aus Absender, Addressat und Mitteilung, wobei sich die Gewichtung verschieben kann. Stehen die Absender im Vordergrund, schlage das Pendel in Richtung Öffentlichkeitsarbeit. "Stehen die Adressaten im Vordergrund, dann haben Sie es mit Unterhaltung zu tun." Erst wenn das Thema im Vordergrund stehe, habe man es mit Journalismus zu tun. Unterhaltung generiere die höchste Aufmerksamkeit, Werbung müsse sich wie auch in der Tageszeitung von Journalismus transportieren lassen, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Journalismus müsse ein öffentliches Gut sein und nicht nach marktwirtschaftlichen Kriterien knapp gehalten werden, denn nur Verknappung mache die Bedeutung des Eigentums aus. Information sei nicht als knappes Gut behandelbar, wohl aber die Aufmerksameit des Publikums. Für Information als öffentliches Gut ist es "von Bedeutung, ob auch Journalismus drin ist, wo Journalismus draufsteht".

In der Diskussion des Vortrags bemerkte Thomas Wiegold, dass durch das Internet die "Markteintrittsschwelle" stark gesunken sei, schließlich könne inzwischen jeder beliebige Inhalte publizieren. Dadurch, so Arlt, seien mehr Chancen für guten Journalismus entstanden, aber auch mehr Gefahren der Boulevardisierung durch das einseitige Schielen auf Klickraten. Arlt sieht aber die Tendenz, dass sich das "Erfolgsmedium öffentliche Kommunikation" immer stärker zur Geltung bringt. "Die Skandalisierung von Prominenz ist das Optimum der Aufmerksamkeitserregung." Genau das machten die Boulevardmedien. Guter Journalismus allerdings muss inhaltliche Relevanz, nicht nur Aufmerksamkeit anstreben.

Hans-Jürgen Arlt

Hans-Jürgen Arlt
© Jan-Timo Schaube

Klaus Schrage und Jochen Rausch

Klaus Schrage und Jochen Rausch
© Jan-Timo Schaube

"Wie reagieren Sendeanstalten und Printmedien auf die neue Öffentlichkeit? Wo gibt es Wechselwirkungen neuer Weichenstellungen in den Medien?", fragten Klaus Schrage, Nürnberger Nachrichten, und Jochen Rausch, Wellenchef von "1Live". Rausch sieht im Medienbereich einen evolutionären Prozess, der als erstes die Zeitungen getroffen habe, aber auch die anderen Medien erreichen werde. Medien müssen inzwischen Zusatzangebote machen und um die Aufmerksamkeit der Leser, Hörer, Zuschauer werben und sich in einem ständigen Kommunikationsprozess über zusätzliche Kommunkationswege wie etwa Twitter oder Smartphone-Angebote mit den Nutzern bewegen. Durch Parallelnutzungen von Tablet, Smartphone etc. werde die ungeteilte Aufmerksamkeit gerade in der jüngeren Generation geringer. "Wie gelingt es uns noch, da durchzudringen?", sei heute die Frage. "1Live" versuche, eine Mischung aus Unterhaltung und seriöser Information zu bieten, das sei für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Selbstverständlichkeit als Angebot, in der Abwägung aber immer wieder schwierig.

Aufmerksame Zuhörerinnen und Zuhörern beim Journalistentag zum Thema Boulevard
© Jan-Timo Schaube

In der anschließenden Diskussion drehte es sich darum, wie "wirklich wichtige Information" zu definieren sei. Wie schaffen es Redaktionen, die "Empfängerperspektive" einzunehmen? Vor dem Internet haben Redaktionen geurteilt, was ist für unser Medium wichtig, heute müssen sich Redaktionen fragen, was für den Endverbraucher wichtig sei, meinte Rausch. Fraglich sei, wann Medien wie Facebook, Twitter und Google sich selbst als "Journalismus" definieren und den herkömmlichen Journalismus als überholt und überflüssig bezeichnen, wenn, wie aus dem Publikum angemerkt, nur noch "Entertainer" statt Journalisten gesucht werden. Eigentlich müsse für exklusive Informationen, die Aufmerksamkeit erregen, mehr Geld ausgegeben werden, andererseits gehe der Trend aber zum Sparen - ein Teufelskreis, wie Rausch meint. Es sei personell auch nicht zu leisten, das ganze Programm von den Hörern kommentieren zu lassen, da dies moderiert werden müsse. Der WDR habe deshalb inzwischen den Plan, die Kommentarfunktion auf bestimmte Sendungen einzugrenzen.

Der Nachmittag begann mit dem Film der 52. Abschlussklasse der Deutschen Journalistenschule zur Regenbogenpresse, präsentiert von Theresa Moebus und Jasper Ruppert. Vorgeführt wurden die widersprüchlichen Titelbilder und Überschriften der Klatschblätter, befragt wurden Leserinnen und Leser nach der Glaubwürdigkeit. Schwierig gestaltete sich die Kontaktaufnahme mit Redaktionen der Blätter. Ein Interview mit einr Redaktions-Whistleblowerin gab es nur mit Verfremdungseffekt. Resümee: "Journalismus scheint in der Regenbogenpresse ein sehr dehnbarer Begriff zu sein." Mit großem Beifall dankte das Publikum für den pfiffigen und amüsanten Beitrag.

Rudolf Schröck von der Deutschen Journalistenschule in München unterschied zwischen Boulevardjournalismus und Revolverjournalismus. Boulevardzeitungen entstanden nach dem Krieg wie die Münchner Abendzeitung oder die Hamburger Morgenpost im linken Milieu. Optisch und schlagzeilenmäßig hat sich "Die Zeit" inzwischen auf ihrem Titelblatt an den Boulevard angelehnt. Boulevard-Elemente finden sich auch in der Tageszeitung taz. "Man kann die Waffen von Revolverblättern durchaus positiv nutzen".

Nach Werner Friedmann, Gründer von AZ und Süddeutscher Zeitung sowie der Journalistenschule in München, gehören Information, Unterhaltung und Service in eine Zeitung. In den Social Media wie Instagram, Facebook und Twitter reiße der Boulevard aber alle Grenzen ein, die bisher eingehalten wurden und dies habe Folgewirkungen. Deshalb gehöre der Umgang mit diesen Medien zur Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule.

Schröck glaubt, dass die Tendenz im Journalismus durch die triviale Boulevardisierung dramatische Ausmaße annehmen wird. "Und das wird die neue Chance von Print sein." Bei all ihrem Unterhaltungsbedürfnis wollten Leserinnen und Leser "wissen, was die Welt wirklich zusammenhält", wollten Hintergrundinformationen. Nicht "Fakten, Fakten, Fakten, sondern Wissen, Wissen Wissen, und an die Leser denken."

"Wie hat sich die Auslandsberichterstattung verändert", war die Frage, der sich Luten Leinhos, Chef vom Dienst und Autor beim ZDF-heute-journal, beim Journalistentag stellen sollte. Was ihn zunächst ins Grübeln brachte: Was prädestiniere ihn als Mann des heute-Journals für das Thema Boulevard? Leinhos zeigte einen siebenminütigen Beitrag über den Islamischen Staat IS aus den ZDF-Nachrichten, der auch mit den Mitteln des Boulevards arbeitet, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu erreichen. Emotionale bis grausame Bilder, Personalisierung, ist das alles schon Boulevard, fragte Leinhos. "Unsere Fernsehmacher-Gewohnheiten haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert", stellte Leinhos mit Hinblick auf Skype und Social Media fest. Die Mittel des Boulevard würden in zunehmendem Maße benutzt.

Dabei könnten die Korrespondenten nicht mehr als neutrale Beobachter arbeiten, sondern werden immer mehr zur Zielscheibe der kämpfenden Parteien und sollen gleichzeitig Berichte in Echtzeit liefern. Die Internetplattform der Nachrichtensendung werde zum "Empörungsportal" der Zuschauer über die Auslandsberichterstattung, was zusätzliche Arbeitszeit in den Redaktionen bindet.

"Und was hat das mit der Gesellschaft zu tun?", fragte zum Schluss der fränkische Wortakrobat (und Soziologe) Oliver Tissot, mit Schiebermütze, Karojackett und roter Fliege geschmückt. Tissot kommentierte die Referate und Diskussionen des Tages mit scharfer Zunge, ein Ad-hoc-Kabarettprogramm.

Ulrich Janßen

Ulrich Janßen
© Jan-Timo Schaube

Der dju-Vorsitzende Ulrich Janßen wies zum Schluss daraufhin, dass der nächste Journalistentag nicht mehr am letzten Samstag im November stattfinden werde, da im Herbst die Dichte der Journalismusveranstaltungen sehr hoch sei. Das nächste Datum ist der 23. Januar 2016. Man werde wieder versuchen, ein Thema zu finden, dass Kolleginnen und Kollegen aus allen Medien betreffe, wie dieses Mal die Boulevardisierung im Journalismus. Das große Interesse daran zeigte sich in der hohen Zahl von über 200 Anmeldungen, weshalb die Anmeldeliste schon Tage vorher geschlossen werden musste.

Susanne Stracke-Neumann

Dokumentation

ver.di Kampagnen