Fest oder frei?
Statusfragen: Frei, fest frei, Pauschalist oder doch scheinselbstständig?
Es rumorte 2016 in den Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen: Der Zoll, der ebenso wie die Rentenversicherung Arbeitsverhältnisse überprüft, hatte mal ganz genau in die Bücher diverser Medienhäuser geschaut. Es ging um die Frage, ob jemand, der regelmäßig für den Verlag arbeitet, in Dienstplänen auftaucht und maßgeblich am Erscheinen von Publikationen beteiligt ist, tatsächlich „frei“ sein kann oder am Ende des Tages nicht doch abhängig beschäftigt ist. Stellt der Zoll „Scheinselbstständigkeit“ fest, dann stehen die Verlage vor hohen Nachforderungen für die entgangenen Sozialversicherungsabgaben (z.B. in die Renten- oder Arbeitslosenversicherung) samt Strafzahlungen. Die Verlage müssen die Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile nachzahlen. Denn mit den vermeintlich „Freien“ haben sie das Problem der Sozialabgaben bisher für sich sehr günstig auf die Künstlersozialkasse (KSK) und damit zumindest zum Teil auf den Steuerzahler abgewälzt.
Verschiedene Strategien
Angesichts der verschärften Prüfpraxis und einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Thema Werkverträge und Leiharbeit, der dem Koalitionsvertrag entsprechend auch die Frage der Klärung des Arbeitnehmerstatus voran bringen sollte – siehe Infokasten – wagten die Verlage die Flucht nach vorn, oft zum Nachteil der Betroffenen: Bei Gruner + Jahr in Hamburg hieß es, es sollen etliche Medienschaffende nun fest angestellt werden. Allerdings mit befristeten Verträgen und zu bislang noch völlig ungeklärten Bedingungen: „Das Modell Vollzeit unbefristet entspricht nicht dem Bedarf des Verlags“, erklärte G+J-Personalchef Stefan Waschatz bei einer Versammlung der Freien. Enge Befristungen waren auch beim Spiegel im Gespräch.
Ampelsystem
Die Süddeutsche Zeitung hat dagegen ein Ampelsystem ausgearbeitet, das die Dringlichkeit der Einstellung der sogenannten Freien klassifiziert und ihnen zugesichert, dass sie in mehreren „Anstellungswellen“ fest übernommen, nicht schlechter bezahlt werden als bisher und mit Anspruch auf Urlaubsgeld und Unterstützung bei Krankheit oder Schwangerschaft.
Bei Springer hat man sich hingegen gleich selbst angezeigt. In den Häusern der Funke Mediengruppe regelt künftig eine „Richtlinie Freie Mitarbeiter in den Redaktionen“ die Einsatz- und Arbeitsmöglichkeiten von Freien im Sinne des Verlags - zulasten der Betroffenen: Keine Honorarfortzahlung im Urlaub, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Beschäftigung nur noch an 12 Tagen pro Monat. Bei DuMont ist von Verträgen weit unter Tarif die Rede.
Stellt die Klage auf Festanstellung eine Möglichkeit dar, Klar- und Sicherheit zu erzielen? „Die Kolleginnen und Kollegen müssen für sich entscheiden, ob sie sich auf Angebote der Arbeitgeberseite einlassen und mit einem Kompromiss weiterleben können oder ob sie eine saubere arbeitsgerichtliche Klärung des Sachverhalts anstreben, die sich allerdings über mehrere Instanzen hinziehen kann”, so Christof Büttner, ver.di-Mediensekretär für NRW.
Info: Gesetzentwurf zu Leiharbeit und Werkverträgen
Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, hatte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles am 16. November 2015 einen Referentenentwurf vorgelegt, der den Missbrauch von Leiharbeit und Werksverträgen eingrenzen sollte und die Frage klären, wer Arbeitnehmer im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches ist. Dazu sah der Entwurf die Neufassung des §611a mit einer klaren Definition der Arbeitnehmer-Eigenschaft vor.
Während ver.di den Gesetzentwurf grundsätzlich begrüßte, stieß er bei den Arbeitgebern und auch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel auf harte Kritik. Merkel kritisierte, Nahles habe die Koalitionsvereinbarung zu weit ausgelegt, die Arbeitgeber kritisierten vor allem den Katalog zur Unterscheidung von Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit.
Am 18. Februar 2016 hat Nahles einen neuen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser abgeschwächte Entwurf enthält nicht mehr den Kriterienkatalog zur Bestimmung von Scheinselbstständigkeit, der die Verlage so in Unruhe versetzt hatte. Es enthält auch nicht mehr die Orientierung an der Feststellung eines Beschäftigtenverhältnisses durch die Deutsche Rentenversicherung Bund, was Statusfeststellungsklagen erleichtert hätte. Das ver.di-Referat Selbstständige kommentierte dies als „Regelungslücke“.
Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske bezeichnete am 24. Februar 2016 die "Blockade des Gesetzentwurfs gegen Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen" als "offen gegen die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerichtet". Das solle der Lohndrückerei dienen. Auch den Einsatz von Leiharbeitern bei Streiks hätte die CDU/CSU-Fraktion wohl im Auge. Das stehe im krassen Widerspruch zur Koalitionsvereinbarung, deren Einhaltung ver.di erwarte.
Am 1. April 2017 traten dann durch die Gesetzgebung auch schließlich keine keine klaren Kriterien für eine Scheinselbstständigkeit in Kraft, sondern ein neuer §611a im BGB referiert seitdem lediglich die laufende Rechtsprechung, kommentierte das Selbstständigenreferat von ver.di. "Es bleibt also bei den bekannten Unklarheiten und den Einzelfallprüfungen durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV)."
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Artikel und Termine zur Scheinselbstständigkeit
- Scheinselbstständige bei der Provinzial? Kieler Nachrichten. 2. Juli 2019
- Neueste Urteile zur Scheinselbstständigkeit. Haufe Online Redaktion. 5. Juni 2019
- Arbeitsort: Plattform. M - Menschen Machen Medien. 13. Mai 2019
- Frank Bsirske im dpa-Interview: Verdi fordert Schritte gegen Ausbeutung von Paketzustellern. ZEIT Online. 1. Januar 2019
- Scheinselbstständigkeit – aktuelle Rechtslage 2018. Projektwerk.
- BSG: Für feste Freie muss gezahlt werden. M- Menschen Machen Medien. 29. September 2017
- ARD-Freie: Plädoyer für Ehrlichkeit. M - Menschen Machen Medien. 25. April 2017
- Scheinselbständigkeit in Deutschland: Vor allem Geringqualifizierte und Berufseinsteiger gehören zu den Risikogruppen. IAB-Kurzbericht 1/2017.
- Scheinselbstständigkeit: Die Ungeliebten. Brand eins. 2017
- "Frei, unfrei, vogelfrei": Veranstaltung der dju Mittelfranken im DGB-Haus Nürnberg am 14. Dezember 2016 um 18 Uhr
- "Geldregen von der Krankenkasse". Von Tina Groll, Zeit Online, 2. August 2016
- Starker Start – unsanfte Landung. M- Menschen Machen Medien. 11. April 2016
- Aufgescheucht: Verdacht auf Scheinselbstständigkeit. M - Menschen Machen Medien. 25. März 2016
- „Leiharbeit und Werkverträge: Nahles kommt den Arbeitgebern entgegen“. Von Cordula Eubel und Alfons Frese, Tagesspiegel, 20. Februar 2016
- „G+J: Arbeitsrecht bis in die Winkel auskehren: Hamburg: Vertragsverhältnisse im Check – Festanstellungen beabsichtigt“. Von Lars Hansen auf M Online, 4. Februar 2016
- „Wenn Pauschalisten plötzlich richtig eingestellt werden: Scheinselbstständigkeit im Journalismus und deren Eindämmung“. Von Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Uni Koblenz, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung (ISAM), 22. Januar 2016
- „Süddeutsche stellt Pauschalisten ein“, M Online, 21. Januar 2016
- „Plötzlich angestellt“, Von Anne Fromm in der taz vom 21. Januar 2016
- „Scheinselbstständigkeit – Funke-Mediengruppe stellt ‚Arbeitsverhältnisse‘ ihrer Freien auf den Prüfstand“. Von Frank Biermann auf M Online, 22. Dezember 2015
- „Scheinselbstständigkeit bei Journalisten“, Blog von Michael Felser, Rechtsanwalt für Arbeitsrecht, „felser.de“, 7. Juli 2015
- „Die Leiharbeiter des Journalismus“. Von Anne Fromm, Anja Krüger, Jürn Kruse in der taz vom 6. Juli 2015
- "13 Irrtümer bei Scheinselbstständigkeit". Von Michael Felser, Rechtsanwalt für Arbeitsrecht auf "scheinselbstständig.de", 11. November 2014