Mit Sorgfalt und Genauigkeit gegen die Vertrauenskrise

01.12.2016
Festakt 60 Jahre Presserat: (von rechts) Cornelia Haß, Joachim Gauck, Daniela Schadt und Thomas de Maizière

Festakt zum 60jährigen Bestehen des Deutschen Presserats mit Bundespräsident Gauck und intensiver Diskussion

Die Gründung des Presserats vor 60 Jahren war ein Zeichen, dass die junge Demokratie der Bundesrepublik vorangekommen war, sagte Bundespräsident Joachim Gauck beim Berliner Festakt im Axica-Kongess-Zentrum zwischen der Akademie der Künste und dem Brandenburger Tor am 1. Dezember 2016.

Vor rund 250 Gästen, begrüßt von der Sprecherin des Trägervereins des Deutschen Presserats, dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß, hielt Gauck eine facettenreiche und nachdenkliche Rede zum Lob der 1956 zur Abwehr eines Bundespressegesetzes gegründeten Institution der freiwilligen Selbstkontrolle. Dazu fanden sich der Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV), der Verband der Deutschen Zeitschriftenverleger (VDZ), die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di und der Deutsche Journalistenverband (DJV) damals zusammen. Bis heute arbeiten die vier Organisationen im Presserat eng zusammen, koordiniert von der Geschäftsstelle unter der Leitung von Lutz Tillmanns, die ehrenamtlichen Posten in Trägerverein und Presserat rotieren durch, die vier Verbände entsenden ihre Mitglieder in die verschiedenen Gremien.

Die Mitglieder des Presserats der dju in ver.di

Wer den Presserat nicht ernst nehme oder ihn gering schätze, müsse sich dennoch der Überprüfung durch ihn stellen, so Gauck. Da heute durch das Internet jeder sein eigener Autor und Verleger sein könne, könne man sich auch fragen: „Wozu braucht man noch Journalisten?“, meinte Gauck. Diese seien oft auch Überbringer schlechter Nachrichten und ernteten deswegen Misstrauen. Die Medien seien aber nicht Auslöser der gegenwärtigen Vertrauenskrise in Politik und Medien, könnten sie allein aber auch nicht heilen. Eine laute Minderheit polemisiere gegen die Medien, lebe aber oft in ihrer eigenen Parallelwelt der Wahrnehmung in ihren Mikroöffentlichkeiten: "ein Kommunikationsinfarkt."

Wie man diese Leute aus ihren Wahrnehmungsblasen hole, darauf habe er leider auch keine Antwort, die hätte er sonst heute gerne als Geschenk mitgebracht. Aber man müsse zumindest fragen, wie es dazu kommen konnte, und Verachtung von echter Kritik unterscheiden. Zur Überwindung der Vertrauenskrise sollten Journalistinnen und Journalisten weiter durch Sorgfalt und Genauigkeit beitragen. Damit seien sie den „digitalen Stammtischen“ überlegen. „60 Jahre nach Gründung des Presserats ist mir deshalb um die Zukunft der deutschen Presse nicht bange“, erklärte Gauck zum Schluss seiner Rede.

Der Sprecher des Presserats, dju-Mitglied Manfred Protze, erklärte, es gebe zwar jedes Jahr mehrere hundert Beschwerden, aber viele tausend Journalistinnen und Journalisten machten täglich eine gute Arbeit, die den Pressekodex einhalte. Das Zerrbild des „zahnlosen Tigers“, der nur Rügen aussprechen kann, aber nicht strafen, bezeichnete er als nahezu erledigt. Die Stellungnahmen von Redaktionen, auch der Boulevardredaktionen, die mit Beschwerden konfrontiert werden, zeigten, dass diese dies keineswegs auf die leichte Schulter nähmen. „Wer wird schon gern öffentlich gerügt.“ Journalisten lebten in ständigen Abwägungsentscheidungen, für die es nicht so "genaue Regeln wie beim Autofahren" gebe. Deshalb werde der Presserat – soweit möglich – sich auch an entsprechenden Schulungen gern beteiligen.

In der Podiumsdiskussion, moderiert von Dunja Hayali, saßen die deutsch-französische Journalistin Cécile Calla, Innenminister Thomas de Maizière, Professor Ottfried Jarren von der Uni Zürich, Georg Mascolo vom Rechercheverband NDR/WDR/Süddeutsche Zeitung sowie Volker Stennei, Chefredakteur und Verlagsleiter des Hellweger Anzeiger und zweiter Sprecher des Presserats, der unterstrich, dass es zwar mehr Beschwerden, aber nicht mehr Rügen gäbe, also kritischere Leser, aber zumeist gut arbeitende Kolleginnen und Kollegen.

Dunja Hayali hatte die Diskussion mit einem Zitat des französischen Philosophen Jean-Paul Sartre eröffnet: „Vielleicht gibt es schönere Zeiten als diese, aber diese sind unsere!“ Wenn auch nicht immer schön, wie auch Calla bestätigte, denn das Misstrauen gegen den Journalismus in Frankreich sei schon rund ein halbes Jahrzehnt älter als hier in Deutschland. In Frankreich haben Journalisten und Politiker – hinzufügen muss man: auch die führenden Wirtschaftsleute, die selbstverständlicher in die Politik wechseln und zurück als in Deutschland  – alle an den gleichen Eliteschulen studiert und stammen aus demselben Bildungsmilieu - in Frankreich oft einfach „la classe politique“ genannt. Der Vorwurf der „Lügenpresse“ heiße in Frankreich „Desinformation“.

Ottfried Jarren, der als Deutscher die Eidgenössische Medienkommission leitet und dabei die in der Schweiz viel lautere Diskussion um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewöhnt ist, lobte die deutsche Medienvielfalt, die noch einen Diskurs ermögliche. Georg Mascolo, der das Internet als die größte Informationsbasis, aber auch als „die größte Kloake der Menschheitsgeschichte“ bezeichnete, meinte, Journalisten bekämen nun auch den kritischen Gegenwind, den die Politiker schon seit Jahren gewöhnt seien. Endlich habe eine ernsthafte Debatte um das Selbstverständnis begonnen. Er wünsche sich einen viel offeneren Umgang mit Fehlern und mehr Korrekturen der Fehler, die selbst bei Sorgfalt immer mal möglich seien. Man solle die Ziffer 7 des Pressekodex, die seit Abfassung 1973 dort enthalten sei, ernster nehmen, nämlich Fehler für den Leser erkennbar zu korrigieren. Und Lügen wie von den Brexiteers und Donald Trump sollten auch als solche deutlich bezeichnet werden.

Der Innenminister, der sich schon zu Beginn mit fünf Wünschen an die Presse gemeldet hatte wie mehr Respekt vor Opfern, Vorsicht beim Formulieren, keine Spekulationen und keine Gefährdung von Polizeiaktionen, fügte am Ende der Diskussion noch einen Wunsch an das Fernsehen dazu: „Bitte laden Sie nicht diese komischen Experten ein“, bevor klar sei, worum es in dem jeweiligen Fall wirklich gehe.

Dazu bemerkte Dunja Hayali, man könne es auch schwer recht machen: Sende man nicht, komme man in den Verdacht der Informationsunterdrückung, sende man trotz unklarer Nachrichtenlage, gebe es genauso Proteste wegen sinnloser Wiederholungsschleifen.

Eine schöne Anerkennung der Arbeit des Presserats formulierte Jarren zum Schluss der Diskussion: „Wir brauchen eine medienübergreifende Institution wie den Presserat.“

Hatte der Innenminister sechs Wünsche, so hat die Vorsitzende des Trägervereins, Cornelia Haß, am Ende der Veranstaltung für sich neun Wünsche für die nächste Arbeit des Presserats ausgemacht. Wir sind gespannt.

Susanne Stracke-Neumann

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Zum Bericht in M und einer sehr interessanten Chronik